Tagebuchauszug von Lars


     

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    bloody monday


    7.30 Uhr, aufwachen. "wie sieht das fette teil an der schläfe aus? immer noch so verdammt groß?" ins bad schlurfen, licht an, gaaanz nah ran an den spiegel. sieht gar nicht mehr so schlimm aus, oder? *augen reiben* bissi flacher, aber auch röter, wasn das auf der stirn, das war gestern aber noch nicht... da drüben auch, scheiße - gesicht waschen - alles noch schlimmer, adrenalinschub, alles rot, eine stelle blutet, klopapierfetzen drauf, schnell ausm bad raus, kaffee kochen, kippe rauchen, katzenfutterschrein auffüllen, hinhocken. sms checken, kaffee trinken, über die stirn fahren, abtasten, knubbel fühlen, schnell in flur vor spiegel rennen. gibt das jetz auch son riesenteil da oben? vor 3 wochen war direkt nebendran eins, oh mann, das war absolut das schlimmste, das wochenende, oh gott, was ne kleisterei... und die schläfe? shit, das sah nur vorhin besser aus, jetzt isses wieder viel geschwollener... wenn man liegt, dann schwillt das bestimmt ab über nacht... *kratz* mann, laß die finger weg jetzt. lamentierend ins schlafzimmer rennen, klamotten rausholen. hose anziehen, in küche setzen, rauchen, kaffee trinken, schuhe anziehen. kein bock ins bad zu gehen. kein bock auf tüncherei heute. wird eh alles scheiße aussehen. radio an, ungerne ins bad schlurfen. klopapierfetzen abreissen, blutet wie sau. 5 minuten lang blut mit wattebausch abtupfen, dabei zähne putzen. schnellwaschgang mit waschlappen. shirt anziehen. dann haare machen: feucht machen, bisschen gel, kämmen, wenn ich das zum schluß mache, verschmiert noch das gesicht... sieht alles schon besser aus mit gestylten haaren. rasieren mit langhaarschneider, peinlichst ausgeklügeltes system zur schonenden haarkürzung mit hilfe eines desinfizierten hornkamms und null hautkontakt, fertig, blick frontal in den spiegel. abdeckcreme auf finger, finger ins gesicht, erstmal die grundarbeit, immer die gleichen stellen, nasenspitze (saublöder, vor 4 jahren urplötzlich entstandener, flacher rötlich brauner leberfleck, stört bestimmt keinen auf außer mich, fühle mich "nackt", wenn die stelle nicht abgedeckt ist, sieht nicht aus wie leberfleck, eher wie entzündeter pickel), stirn 3 stellen, hals rechts (geht der knotenrest nochmal irgendwann weg?). sieht passabel aus von vorne. kopf nach rechts drehen. scheiße. die schläfe. oh nein, das wölbt sich ja richtig. gaaaaanz weit weg vom spiegel, kopf hin und her drehen, fluchen, ganz nah ran an den spiegel. bringt nix, muß ich großflächig zukleistern. zu viel abdeckcreme, sieht aus wie ne verhunzte kokosmakrone an der schläfe. nur unappetitlicher. seltsame form, langgezogen wie ein kokon. gesicht drehen, wenden, neigen, checken. watte, abrubbeln vorsichtig die stelle, trotzdem piekts wie tausend nadeln. man sieht den vielen eiter jetzt schon durch die haut schimmern. bloß keine falsche bewegung jetzt. wenn das teil aufgeht, dann suppts erstmal für ne halbe stunde, scheiße, ich muß ins geschäft... neuer anlauf, wenig abdeckcreme. klopfen, schmieren, schmerzen. heut nachmittag ist das ne richtig fette beule, heut abend muß ich das aufmachen. fertig links, sieht absolut scheiße aus, wenn das im bad schon scheiße aussieht, guck ich gar net erst ins tageslichtorakel (kleiner handspiegel auf dem küchentisch gegenüber des balkonfensters), das echt nur, wenn alles auch ohne abdecken einigermaßen gut aussieht (ha! wie lang is das her? spieglein, spieglein an der wand, wer hat das dickste furunkel im ganzen land?), scheißdrauf, kopf nach links drehen, rechte seite ok. war schon immer meine bessere hälfte *auf die schulter klopf*. gaaaaanz nah ran an den spiegel, symmetrie oder was ist das da an der schläfe. kurz rumdrücken, abtasten, ein mitesser, weiß, tief unter der haut, ebenfalls absoluter knotenkanditat. finger weg, abdeckcreme drauf, obwohl mans noch nicht sieht, egal, morgen sieht mans. frontal anschauen. abdecken der mittlerweile verkrusteten stelle an der stirn - noch ne kokosmakrone, scheiße. haare noch mal nass machen, haare etwas weiter nach unten kämmen, bisschen gel, fertig, versteckt. von vorne gehts jetzt. ich bin kein transvestit aber manchmal wünsche ich mir kurz, ne frau zu sein, die sich guten gewissens zukleistern darf. bisschen drehen, blick auf uhr, keine zeit mehr, muß wech... parfüm, kaffe leer machen, kippe ausdrücken, jacke, schlüssel, katze kraulen, spiegel gucken, sonnenbrille auf, tasche schnappen, fluchend raus, zuschliessen, treppe runterrennen. vogelgezwitscher, die sonne brennt, die abdeckcreme hält - noch. auto auf, rein mit mir, tür zu, blick in den rückspiegel. wahh, das sieht übel aus, total auffällig die schminke. links komplett vergessen, den hals zu bemalen. kurzer vergleich: ungeschminkte pickel, überschminkte pickel *eigentlich brauch ich gar nix zu schminken, sieht doch eh noch beschissener aus als ohne*. viel zu spät, motor an, losfahren. tankstelle, kippen kaufen, beim reingehen kurz in die tankstellentürscheibe geschaut, sieht doch passabel aus eigentlich, (dunkle, verspiegelte scheiben sind sehr dankbare gegenüber, man sieht gebräunt aus, ebenmässig, farblos...) kippen kaufen, raus, gummi geben. 8.52 Uhr.


    9.45 Uhr die böse stelle meldet sich. unerwartet, vorm rechner. die schläfe "pocht", es kribbelt, fühlt sich an, als ob es gleich explodiert und sich mit einem lauten knall entleert. und ich wäre fast froh, das würde passieren, die sachen, die von selbst aufgehen, sind unproblematischer... run aufs klo. sieht aus wie heut morgen die schläfe, nur dicker, das teil zeichnet sich immer deutlicher ab. es kommt einer ins klo reingerannt wie ein angeschossener elefant. hektisch vom spiegel zurückzucken *ich häng mit dem gesicht ja fast dran*, schuldbewusstes, seltsames lächeln des elefanten *einbildung?*, dümmliches grinsen von mir, schnell den hahn aufdrehn und hände waschen und raus aus dem klo.

    "montagsbesprechung um 10.15 Uhr", hör ich sie sagen. scheiße, bitte nicht heute... manchmal ist montags besprechung, manchmal nicht, heute schon. paßt ja. viertelstunde lang selbstberuhigen, immer wieder sagen, es sieht bestimmt nicht schlimm aus, überlegen, wie ich reagiere, wenn tatsächlich einer aus der runde fragt, was ich denn da schon wieder fürn horn im gesicht hab. kippe aus, besprechung. block und kuli schnappen, mit mitarbeiter durch gänge rennen. konferenzzimmer. langer tisch, 10 sessel. ich checke, wer wo sitzt und wer wo sitzen wird und wähle einen günstigen, sonnenarmen platz direkt neben der tür. meine lädierte seite (die lädiertere von beiden) schaut zur tür, die anderen können sie schlecht sehen, strike!... lustige besprechung, viele witzchen, gute jobs, chef gut drauf. freue mich auf die woche. gegenüber sitzt kollegin aus der verwaltung, auch junges ding, 23, hat akne. mehr als ich, nein, anders als ich. bei ihr ist das ganze gesicht betroffen. recht regelmäßig gespickt mit roten, kleinen fieslingen. sie hat grad ein schub, denk ich mir. sieht heut echt arg aus bei ihr. ist auch geschminkt, wie ne frau eben, aber ich sehe jeden fleck, jede erhebung. habe schon mal 2 kolleginnen über sie plaudern hören. "also ich an ihrer stelle würde echt mal was tun" "ja, aber echt, wenn ich pickel hätte, würde ich alles tun um die loszuwerden" "das kommt bestimmt von der deckenverkleidung hier." "was? echt?" "hundert pro, seit dem ich hier schaffe, hab ich richtiggehend atemprobleme abends *rauch*, das is bestimmt asbest oder irgendne andere scheiße, das macht auch die haut kaputt, sagt der uwe, das is nämlich ganz billiges material da oben, weil der chef damals zu geizig war für richtige isolierung sagt die elisabeth!" "ja, meine haut is auch irgendwie anders als früher, aber soweit würd ichs an ihre stelle gar nicht kommen lassen, man kann doch mal ab und zu ne maske aufs gesicht machen, ich könnte mir auch vorstellen, daß es von der bildschirmstrahlung kommt bei ihr, ich hab da in der amica..." denke kurz an meine versaute schläfe und hoffe, daß sie am wochenende einigermaßen eben aussieht. disco wäre schön, haareschneiden wär mal wieder fällig, ungutes gefühl beim gedanken, daß die friseuse vorsichtig um die neue problemzone schnippel muß und draufschaut... lieber noch ne woche warten mit haareschneiden. freue mich nach der besprechung, daß niemand mich angesprochen hat (es hat mich noch nie jemand im job DARAUF angesprochen, außer einmal, aber nicht in der besprechung), zurück an den arbeitsplatz. der knoten pocht und juckt. die stirn juckt jetzt auch. es ist langsam unerträglich heiß im büro. kollegin gegenüber schwitzt auch im gesicht. is ne absolute naturschönheit, nicht nur hauttechnisch. nimmt sich ein tempo aus der box und tupft sich elegant das gesicht ab. nimmt sich eine sprühdose thermalwasser und sprüht ihr gesicht ein. nochmal tupfen. schaut erfrischt und zufrieden. lacht und hält mir die dose hin. ich lache auch und schüttel den kopf und schau schnell wieder auf den monitor. ich würd mir auch gern mit dem zeug das gesicht einsprühen. und ich würd mir vor allem auch gerade gern die ganze abdeckscheiße aus dem gesicht wischen. ich würde auch gern tupfen aber dann ist das abdeckzeug runter und nebenbei gehen dann wahrscheinlich alle pickel auf einmal auf.... sieht die nicht, daß das unverschämt ist, mir thermalwasser anzubieten? will sie mich wirklich "nature" sehen? deckenventilator anschalten (die erfrischung der pickelgesichter, juhu), an was anderes denken.

    12.20 Uhr kollege will aufbrechen zum mittagessen. alles klar, muß nur noch mal schnell aufs klo. stirn sieht übel aus, verschwitzt, aufgeschwemmt irgendwie, die creme ist verschmiert an manchen stellen, die roten dicken pickel sieht man besonders gut. *ich geh morgen ins solarium, echt, ist mir scheißegal, ich seh aus wie ne leiche...* hab die worte meines hautarztes im ohr:" also bei ihnen würde ich von solarium abraten, das verhornt und 2 wochen später haben wir den salat!" tolle sache, wenigstens würde ich jetzt nicht dieses blasse gesicht sehen müssen. knoten an der schläfe sieht auch seltsam aus. mit dem finger drüber fahren, verschmieren, scheiße. jetzt sieht mans mehr als vorher *wenn die haare doch heute 2 cm länger wären, friseurtermin kick ich ganz*. ganz unzufrieden ausm klo raus, geldbeutel schnappen, sonnenbrille auf, runter in tiefgarage mit kollege. in die stadt fahren, immer wieder zwischendrin unauffälliges, entsetztes anvisieren der schläfe im rückspiegel. kollege ist auch blass (ohne pickel) und redet zufällig über solarium. ist gut für den teint, gut gegen pickel. wo er pickel habe, frage ich etwas zu pampig und könnte mich in dem augenblick ohrfeigen, weil das die einladung zu seiner gegenfrage ist. er lacht und sagt, halt ab und zu einen. zeigt auf das gebiet zwischen oberlippe und nase. da ist ein rotes pünktchen. putzig, das würd ich gar nicht sehen bei mir. peinliches schweigen danach. ich sage nix. was soll ich auch sagen? er sagt auch nix mehr über haut und co. anderes thema, gott sei dank. ich rede nicht über meine haut. nicht mit ihm. über meine haut rede ich mit meiner freundin, meinem besten freund, mit meinen eltern, in der reihenfolge. sonst mit niemandem. logisch. auto parken, aussteigen, oh gott, die sonne brennt und ich spüre förmlich wie sich die abdeckcreme verflüssigt und schmilzt und die roten punkte immer mehr durchschimmern. ins bistro rennen. sitzplatz checken. scheisse, ein einziges tischchen frei, mitten im raum. kollege freut sich wie ein kind, daß noch was frei ist, ich sage super und könnte kotzen. links am nebentisch junge mädels, teenies. meine böse seite ist ihnen direkt zugewandt, na herrlich. initialisierung des verdrängungsmechanismus. wenn der ernstfall da ist, muß ich abschalten, dann ist mir auch die haut scheißegal, was solls auch, ich muß ja zu mittag essen und die werden schon nicht die ganze zeit rüberstarren. eben war der altbekannte zeitpunkt, wo ich mich, wie man so schön sagt *unwohl in meiner haut fühlte". rumrutschen auf dem stuhl, in erwägung ziehen, nochmal schnell auf toilette zu rennen und vielleicht nachzuschminken. essen kommt. ablenken, essen, an was anderes denken, bisschen plaudern. nach dem essen rauchen. mein hals ist schon fast steif, weil ich mehr oder weniger unbewußt starr geradeaus geschaut habe um nicht irgendeine reaktion der mädels sehen zu müssen. ich schaue nach links und da sitzen jetzt andere leute, die mädels sind grad aufgestanden und gehen. die frau grinst nett rüber und nickt mit dem kopf, ich grinse auch. bedienung kommt, ich hab den eindruck, sie schaut extrem lange auf mein gesicht, irgendwie besorgt. am liebsten würde ich in solchen augenblicken mal direkt fragen: "schaust du gerade auf das megadicke furunkel an meiner schläfe?" wahrscheinlich schaut sie mich einfach nur an und wenn sie es sieht oder meine haut abcheckt, was solls eigentlich, dann denkt sie sich: er hat pickel. gerade ich sollte mein mund halten, ich checke alles und jeden nach unreinheiten, narben, pickeln ab. große entzündungen wie ich sie habe, sehe ich im alltag selten, eigentlich nur bei jüngeren leuten. *hereinspaziert, hereinspaziert, staunen sie über die weltweit größte hauterscheinung!* was solls, bezahlen, aufstehen, rausgehen.

    13.45 Uhr, kollege geht nach rechts, ich gehe nach links. treffen in 10 minuten. in die apotheke rennen. creme kaufen. schweineteuer das zeug. ich frage die apotheken-gehilfin, was es denn zum desinfizieren von pickeln so gibt. vor nem jahr hätte ich das noch nicht übers herz gebracht. jetzt ist es mir eigentlich egal. zumindest bei apotheke, arzt oder klinik hab ich mir eine gewisse kackfreche forschheit antrainiert. nur die können mir helfen, die sollen alles wissen über mein haut. das mädchen ist doch recht verunsichert zuerst. guckt kurz hektisch nach unten, fasst sich wieder und will mir überfreundlich irgendwas sagen, hat aber null ahnung, bzw. nennt mir produkte, die ich alle schon ausprobiert habe. eigentlich hab ich die frage gestellt, weil ich das neuerdings automatisch immer mache. ich will nichts gutes zum desinfizieren, ich hoffe insgeheim, daß irgendein apothekenheini eines tages sagt :"ja, ich kann sie gut verstehen, ich hab da was supertolles für sie (das erstens ihre pickel desinfiziert, zweitens ihre knoten zum schmelzen bringt und sie drittens innerhalb von 24 stunden komplett pickefrei auf lebenszeiten machen wird, allerdings müssten sie mit ihrer seele bezahlen...)". ich hab schon wieder keinem bock mehr, die gehilfin will gerade die obergehilfin fragen, ich winke ab und bezahle die creme und renn zum auto, treffen mit kollege. zurückfahren ins geschäft. ich bin gut mit arbeit zugemüllt. ich renne noch 2 mal bis abends auf die toilette, einmal zum pipi machen, einmal, weil das schläfen-miststück mittlerweile so ein ganz seltsames gefühl vermittelt. es ist eine art fremdkörpergefühl im gesicht, ich kanns nicht anders sagen. ich spüre richtiggehend das gewicht und die masse dieses teils im gesicht, und wie das umliegende gewebe kribbelt, als ob es ein teil des körpers wäre, wie ein finger oder ein arm. also praktisch ein angewachsener fremdkörper? dabei gehört es eigentlich gar nicht zu mir.

    17.30 Uhr, bin ich fertig wie jeder andere wahrscheinlich auch, aber zusätzlich zu den strapazen des ganz normalen arbeitstags bin ich heute schon mindestens 3 tode gestorben, jedesmal wenn ich mich im spiegel oder in irgendeiner spiegelnden fläche betrachten mußte (der ausgeschaltete computermonitor, die aluminium-verkleidung der deckenbeleuchtung, der kaffeelöffel...). heimfahren, vorher einkaufen gehen. in meiner wohngegend wimmelt es wirklich von mehr oder weniger ungepflegten, unauffälligen, einfachen menschen, arbeiterviertel eben, verlebte, gezeichnete gesichter, die nichts aus sich machen, viele dicke menschen, viele unvorteilhaft angezogen, und im supermarkt in der nebenstraße meiner wohnung natürlich auch. ich fühle mich pudelwohl zwischen diesen menschen, endlich keine kritischen, gestylten möchtegernmodels mehr um mich rum, endlich empfinde ich mich nicht mehr so anders, eher umgekehrt, ich fühle mich auf einmal sehr attraktiv und viel salonfähiger als die. schon traurig, sich an den äußeren makeln anderer hochzuziehen, ich bin kein bisschen besser, als die menschen, die ich dafür fürchte. ich selbst wäre der, vor dem ich mich am meisten fürchten müsste. ich meide zucker. hab viel schlechtes gehört und gelesen, klingt für mich einleuchtend. aber ich bin halbherzig, ich meide eigentlich bloß süssigkeiten und cola (immerhin, das ist das gros), maggi oder krams wo zucker halt unter anderem auch drin ist (was eigentlich fast überall der fall ist), erlaube ich mir trotzdem. aber grad heute ist echt son tag, wo ich echt heißhunger auf zucker pur habe. und nebenbei: was bringts eigentlich, mein konsequenter zuckerverzicht? einen neuen megaknoten und wenn ich mich an den letzten spiegelcheck erinnere, folgt gegenüber bald auch einer und überhaupt sieht meine haut heute alles in allem verboten aus. und fett werd ich eh nicht. leck mich selbst, mars-packung schnappen, in den einkaufswagen, weiterschieben. ich mach das seit nem jahr, halbherzig auf zucker verzichten. wenn meine haut gut ist, ist mit auch der zuckerverzicht dran beteiligt, wenn sie schlecht ist, ist es mir dann manchmal egal, krieg so oder so die quittung für meine askese und die ganze mühe ist fürn arsch gewesen und ich weiß ganz genau, daß die ganze ernährungssache humbug ist. danke, heute bin ich schlauer. an die kasse, vor mir ein arabisches kleinkind, glotzt mich permanent an und zupft der mutter am rock rum und ich hab meine schöne dicke oakley auf der nase und mache keinen mucks. *sieht das kind meine pickel? oder ist es die sonnenbrille? was bitte schön ist so sehenswert, daß mich das kind die ganze zeit anglotzen muß? ich bin kein kinderfeind, ich hab heut nur echt kein bock auf geglotze. kurz mein gesicht in der stahlverkleidung vor der kasse checken, der hubbel an der schläfe ist gigantisch groß, sogar von 1 meter enfernung und durch die sonnenbrille durch. schnell einpacken, bezahlen, raus, einladen, nach hause kurven. treppe hochrennen, tür auf, katze begrüssen, tüte hinschmeissen, tasche hinschmeißen, jacke hinschmeißen, brille hinlegen, ab ins badezimmer.

    18.05 Uhr, es ist zwar eh noch taghell, aber licht an. *tataaa* katastrophentourismus vor meinem eigenen gesicht. ich bin der tourist und würde gern mal was anderes sehen. schläfe anschauen, überlegen, erinnern, vergleichen, alle misslungenen ops der vergangenheit vor augen holen und wie immer wissen, daß es falsch ist, dran rumzumachen. sich beruhigen und sich vornehmen, die finger wegzulassen. hände waschen, trotzdem dran rumfummeln, nadel packen, desinfektionsspray draufhalten, zustechen. zu spät, das teil ist offen. eiter läuft in massen an der schläfe runter, ein strom bis fast zum hals. professionelles wattezupfen, abtupfen, abreiben. schmerz laß nach, jesus, das hätt ich nicht machen sollen, das war'n chirurgenjob, nicht meiner. zwischenbilanz: op halbfertig, patient frustriert. telefon klingelt. es ist immer noch massenweise eiter unter der haut, durch leichtes auseinanderziehen der umliegenden haut kommt auch noch ein wenig nach, es bereitet jetzt aber derart schmerzen, daß ich tränen in den augen hab und meine stirn schweißgebadet ist. telefon. die wundöffnung schließt sich schon wieder langsam aber sicher, aber da kam bei weitem nicht alles raus, vielleicht ist es auch zu tief unter haut, weiß ich doch nicht, bin kein arzt. desinfizieren der ganzen linken gesichtshälte samt hals. der knoten ist jetzt geschwollener als vorhin. und leuchtet kirschrot. stechende schmerzen bis in die halsschlagader. durch das drücken an der schläfe hat sich an der wange auch etwas talg aus den poren gedrückt, das sind mindestens 5 cm abstand und trotzdem ist auch da was rausgekommen. da mach ich jetzt aber nix dran an der stelle, alkohol drauf. telefon klingelt immer noch. wundgel auf die wunde, pflaster ausschnippeln, draufkleben. in die küche gehen, hinsetzen, kippe anstecken, augen verdrehen. schmerzen hin oder her, ich fühl mich besser als vorher, befreit. wenn die op geglückt wäre und ich morgen frei hätte, gings mir noch besser. telefon schon wieder. rangehen, ist meine freundin. endlich. erzählen vom tag, von der op. werde gerügt und getröstet. sie meint: "warum drückst du auch rum, doofi?" ich sage "weiß auch nicht" sie lacht schon wieder und ich bin noch am überlegen warum ich schwach geworden bin. ich konnte den anblick dieses scheißteils einfach nicht mehr ertragen. freundin hat heut keine zeit. schlecht und gut, pflaster blutet grad durch, sicher kein doller anblick. bussis durchs telefon. essen machen, zwischendrin gefrustet ein mars nach dem andern mampfen. eigentlich schon satt vor die glotze hocken, alibi-salat essen, alibi-karotte mümmeln. kichern über die simpsons. in der werbepause ins bad rennen. durchgeblutetes pflaster enfernen - schlachtfeld anschauen. kurzes jammern und lamentieren. nochmal kurz rumfummeln mit den fingern. 1 pfund gel drauf, neues pflaster. die wunde tut nicht mehr weh, es ist abgeschwollen, ich freue mich und dann wieder schüttelts mich, daß ich mich darüber freue, daß die klaffende wunde, die ich mir selbst zugefügt habe, nicht mehr wehtut. ich bin mit wenig zu erfreuen, echt. 5 minuten vor dem spiegel verharren, nachdenken, dabei das gesicht in alle erdenklichen positionen drehen und neigen und die unübersehbare präsenz des pflasters begutachten. ich bin ein hübsches exemplar. ich bin nicht so verrückt, daß ich das anzweifle. hatte nie probleme mit oder ohne frauen, hab ausreichend erfahrung gesammelt, bekomme ab und an komplimente für mein äußeres, kann mich sehr schick anziehen wenn ich will. ich habe einen drahtigen, muskulösen körper für den ich nie viel machen mußte. alle paar tage ein wenig fitnesstrainig. ab und zu rennradfahren. habe breite schultern von muttern natur abbekommen. ich kann essen was ich will. kein gramm fett am körper. überall makellose haut - außer im gesicht. mein gesicht ist hübsch, markantes kinn, gerade nase, blaue augen, blonde haare. meine freundin sagt, ein römisches profil. mit dem unterschied, daß diesen büsten keine beulen und mitesser ins gesicht gemeisselt wurden. ich würde mich nicht beschweren, wenn ich nicht diese krätze im gesicht hätte. andere habens schwerer, sage ich mir, und dann schaue ich mir meine zerkratzte stirn an und meinen bartbereich, der mit winzigen narben und komischen verkapselungen gespickt ist und dann wandert der blick zum grab der mittlerweile abgeheilten jahrhundertzyste auf der rechten wange. eine narbe, die aussieht wie ein spinnenbiss, 2 stecknadelkopfgroße löcher im abstand von einem halben zentimeter. sautief beide löcher. der beweis eines unnötigen, montatelangen, blutigen kampfes mit einem gegner, den ich mir nicht ausgesucht habe. hat so gar nix heroisches, dieses spinnenbissteil. ich bin 25 und vor 4 jahren hat dieser scheiß so richtig angefangen und ich wünsche mir in diesem augenblick wie so oft, daß es die letzte operation war und das in 2 wochen alle pickel von alleine verschwunden sind, und die narben gleich mit. mein aushängeschild wird peu ˆ peu versaut und ich frage mich warum. oft wurde ich ja gar nicht angemacht wegen meiner haut, aber die wenigen mal haben gereicht, um mich völlig zu verunsichern, ich kann mich an jede dieser gottlosen situationen erinnern, ich tus nicht gerne, aber ich kann mich erinnern. aus erstarrung lösen, licht aus machen.

    20.30 Uhr, kumpel anrufen. ich will nur was fürs wochenende abmachen, er will gleich jetzt was unternehmen, biergarten oder bowlen. hört sich gut an. ich sage ausnahmsweise ab, ich lüge, daß ich schon mit meiner freundin verabredet bin. hörer auflegen, kurz überlegen, nee, is besser so. ich lass mir nicht wirklich was durch die lappen gehen. sorry kumpel, du hättest auch lügen dürfen in der lage, entweder sich bepflastert angegafft fühlen oder unbepflastert den unschminkbaren, latent supp-und blut-gefährdeten vulkan an der schläfe spüren und laufend aufs klo rennen um nachzusehen. ich werde mein bier nicht wirklich geniessen bzw. ich werde bowlen wie ein kleines mädchen, weil ich schiss haben werde, daß ich anfange zu bluten. solche abende gab es schon ein paar mal, es ist kein weltuntergang, aber ich brauche dazu ein einigermaßen stabiles nervenkostüm, ich hab heut nicht die kraft, mir das anzuziehen, ich bin müde. ausziehen, duschen. haarewaschen nur ganz vorsichtig. nach dem duschen das alte spiel: zulange vor dem spiegel stehen und sich die vom abrubbeln gerötete gesichtshaut anschauen und fluchen und vergessen, daß es in ner halben stunde wieder normal aussieht wenn die poren wieder zu sind, neue creme ins gesicht schmieren, das sauteure zeug, pflaster wechseln, zähne putzen, ab ins bett und lesen.

    21.45 Uhr, in gedanken nicht im buch, angst vor morgen. ich weiß jetzt schon wies morgen aussieht, riesenbluterguß im besten fall, im schlechtesten fall entzündet sich die chose nochmal richtig, aber hallo. gegenüber wird ein fetter neuer pickel entstehen. mir fällt auf, daß ich schon sehr lange keine phase mehr hatte, in der alles komplett weg war. geht ein megading, kommt pünktlich zur freude über das abheilen ein neuer kandidat, an ner noch auffälligeren und schmerzhaftern stelle. morgen hab ich n termin bei nem kunden mit meinem chef. licht ausmachen. und ich hab angst vor dem guten tag sagen und vor nem hellen tagungsraum und vor irgendwelchen gast-kantinenausflügen, wo ich an irgendnem tischchen mitten im raum sitzen muß. ich könnte auch n hautarzttermin machen und morgen kränkeln? zweifelhafte ehre: der schreibt mich ohne mit der wimper zu zucken 2 tage krank, weil er weiß, daß so eine riesenbeule nicht gut in ner werbeagentur kommt, er hat vollstes verständnis für meine scham. wie sieht morgen wohl das fette teil an der schläfe aus?

    nicht, daß der eindruck entsteht, mein leben sei seit der akne ein einziges jammertal. es gibt gute phasen, es gibt schlechte phasen und sowohl bei den guten gibt es schlechte tage und umgekehrt ganz selten auch. nicht immer dreht sich alles um die pickel und ums aussehen. aber eben meistens, wenn man gerade "gezeichnet" ist. ich bin von haus aus krankhafter perfektionist, kann schlecht mit kritik umgehen und meide gerne konflikte. schlechte karten für einen, der ab 20 urplötzlich mit nem, zugegeben nicht tödlichen, aber sichtbaren makel zu kämpfen hat.

    der tag hat sich so oder so ähnlich vor ungefähr nem jahr abgespielt und so oder so ähnlich vorher und nachher auch einige mal. heute nehm ich roaccutan und diese tage werden immer seltener.

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